Tabellenführer erwartet Rekordmeister Kiel

07.10.2015 9:01
Rhein-Neckar Löwen gegen den THW Kiel: In den vergangenen beiden Jahren elektrisierte dieses Duell die Handball-Fans in Deutschland. In beiden Spielzeiten hatten die "Zebras" am Ende einer langen Saison knapp die Nase vorn vor den "Löwen". Kiel. Wer sonst? Wenn es darum geht, vor der Saison den Top-Favoriten für die deutsche Meisterschaft zu benennen, hatte die Umfrage bei den Bundesliga-Trainern zuletzt immer etwas vom alljährlich wiederkehrenden Silvester-Ritual „Dinner for one“. Der THW lag bei den Voraussagen regelmäßig ganz vorne und wurde diesem Anspruch auch gerecht. In den vergangenen elf Jahren ging der Titel zehn Mal an die Ostsee, „the same procedure as every year“ – auch wenn die Rhein-Neckar Löwen dem Abonnement-Meister zuletzt gefährlich nahe gekommen waren. Vor der aktuellen Saison drehte sich allerdings etwas der Wind. Die Tipps der Bundesliga-Coaches, bei der wie immer Mehrfach-Nennungen möglich waren, verteilten sich nun fast gleichmäßig auf Kiel (14 Nennungen) und die SG Flensburg-Handewitt (13). Die Löwen rangierten auf Platz drei. Bei einer Umfrage des Internet-Portals „handballworld.com“ lagen die Flensburger sogar vorne – und da stand der Abgang von Filip Jicha zum FC Barcelona noch lange nicht fest. Die Skepsis der Fachleute, ob die „Zebras“ auch den 21. Titel eintüten können, lag dabei nicht nur in der Tatsache begründet, dass die Norddeutschen 2014 und 2015 nur noch ganz knapp als Erster ins Ziel kamen, sondern auch der Umbruch im Kader von Alfred Gislason scheint noch lange nicht vollständig abgeschlossen zu sein. Die bisherigen Niederlagen in der Liga und der Champions League weisen jedenfalls in diese Richtung. Hatte der THW in den Vorjahren vor allem das Luxus-Problem, dass er zu viele „Häuptlinge“ beschäftigte und ein paar Kieler Profis Identifikationsschwierigkeiten mit der „Indianer“-Rolle hatten, gingen die jüngsten Veränderungen tatsächlich an die Substanz. Mit Aron Palmarsson zog es beispielsweise einen hochbegabten Individualisten zum ungarischen Top-Klub MKB Veszprem, und mit Kapitän Filip Jicha ging nicht nur ein Weltklasse-Mann im Rückraum des Rekordmeisters, sondern eine echte Identifikationsfigur, die acht Jahre das schwarz-weiße Trikot trug. Den Wechsel zum Champions-League-Sieger Barcelona unmittelbar vor Saisonstart, begründete Jicha mit finanziellen Problemen aufgrund gescheiterter Immobiliengeschäfte in jungen Jahren. Rund 40 Prozent seines Jahresgehalts würden von Altlasten verschlungen, erläuterte der Tscheche in einem Interview und bat um Auflösung seines bis 2016 laufenden Vertrags, um sich mittels der Traum-Gehälter bei den Katalanen aus der Schuldenfalle zu befreien. Barcelona – auf Suche nach einem Ersatz für Nikola Karabatic – machte dem THW zudem ein Angebot, dass Kiel kaum ablehnen konnte. Hinter den Kulissen war aber auch von einem unzufriedenen THW-Kapitän zu hören, weil sich der Meister-Klub Zeit ließ, den Vertrag des 33-Jährigen vorzeitig zu verlängern. Jicha fühlte sich wie Palmarsson nicht entsprechend wertgeschätzt. Die Löwen sind heiß Als Ersatz für ihren Kapitän holten die Kieler kurzfristig den norwegischen Routinier Erlend Mamelund, der in der Bundesliga bereits für Nordhorn und Flensburg am Ball war. Schon länger war die Verpflichtung des Ludwigshafeners Christian Dissinger bekannt, der zuletzt für den TuS N-Lübbecke auf Torejagd ging. „Ich glaube, dass er gut bei uns reinpasst und sich durchsetzen kann“, sagt Trainer Gislason über den 24-jährigen. Auch der dänische Superstar Mikkel Hansen war im linken Rückraum zwischenzeitlich ein Thema bei den Kielern, doch Manager Thorsten Storm musste schnell erkennen, dass selbst der Rekordmeister der Bundesliga mit Gehältern, wie sie derzeit beispielsweise bei Hansens Klub Paris St. Germain bezahlt werden, nicht mehr mithalten kann – und will. „Einen Mikkel Hansen wird es bei uns nicht geben, weil er einfach nicht in unser Gefüge passt“, stellte Storm klar. So blieb Torhüter Niklas Landin Jacobsen der im vergangenen Jahr noch das Trikot der Löwen trug, der einzige Neuzugang von absolutem Weltklasse-Format, Akteure wie der brasilianische Kreisläufer Rogerio Moraes Ferreira (2,04 Meter) oder Alexander Williams (19 Jahre, eigene Jugend) zählen eher zu den Entwicklungsspielern. Torsten Jansen (HSV Handball) soll neben Youngster Rune Damke (seit 2012 beim THW) die Lücke auf Linksaußen schließen, die aufgrund von Dominik Kleins Verletzung (Kreuzbandriss) entstanden ist. Doch da sich auch der 38-jährige Jansen mit Rückenproblemen herumschlägt, wurde Mitte September auch noch Dragos Oprea verpflichtet, der bis zum Ende der vergangenen Saison für FRISCH AUF! Göppingen auf Torejagd ging und zuletzt beim Württembergligisten TV Steinheim aktiv war. Kreuzbandriss bei Patrick Wiencek Am vergangenen Wochenende riss sich dann auch noch Nationalspieler Patrick Wienczek beim Sieg in der Champions League gegen die SG Flensburg-Handewitt das Kreuzband. Alles keine guten Voraussetzungen, um mit einem eingespielten Team die Ziele anzugehen, die Trainer Gislason gewohnt ehrgeizig formuliert. In der Liga soll es erneut der Titel werden, und im DHB-Pokal sowie in der Champions League peilt der THW die jeweiligen Final-Turniere an. Viel wird dabei davon abhängen, wie das routinierte Rückraum-Quartett Domagoj Duvnjak, Steffen Weinhold, Joan Canellas und Marko Vujin mit der neuen Situation umgeht – vor allem Duvnjak wird viel dafür tun müssen, Kiel wieder in ruhigeres Fahrwasser zu führen. Das Duell der beiden besten Teams der vergangenen Jahre elektrisiert auch dieses Jahr wieder die Massen. Nur noch wenige Restkarten sind für den kommenden Mittwoch erhältlich. Anwurf in der SAP Arena ist um 19 Uhr. "Ich glaube, dass der THW aufgrund seiner vier Minuspunkte schon etwas mehr Druck hat als wir. Eigentlich dürfen sie keine Punkt mehr abgeben, aber selbst bei einem Erfolg von uns wäre es noch zu früh von einer Vorentscheidung zu sprechen", so Löwen-Spielmacher Andy Schmid. "Der THW ist eigentlich in jedem Spiel der Favorit, weil es praktisch keine bessere Mannschaft gibt. Wir haben aber schon in der Vergangenheit gezeigt, dass wir sie schlagen können. Ich hoffe auf die Unterstützung unserer Zuschauer, denn wir rechnen uns natürlich auch dieses Jahr unsere Chancen aus. Es ist einfach das Beste, was die Liga zu bieten hat", so Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen vor dem Duell. Doch auch sein Gegenüber Alfred Gislason glaub noch lange nicht an eine Vorentscheidung im Titelkampf. "Die Saison ist noch lang, und die Löwen hatten auch schon Glück. Aber Fakt ist: Sie haben null Minuspunkte, wir stehen mit vier Miesen da", wird der Isländer zitiert. Quelle: http://www.dkb-handball-bundesliga.de/de/n/news/dkb-hbl/2015-16/rhein-neckar-loewen/dkb-handball-bundesliga--tabellenfuehrer-erwartet-rekordmeister-kiel/

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